„In den entwickelten Ländern muss ein Umdenken einsetzen“
Die Corona-Pandemie hat die Bekämpfung des Hungers auf dieser Erde noch einmal erschwert. Denn Covid-19 trifft insbesondere die am wenigsten entwickelten Länder hart. Wie können wir die Ernährung von bald 10 Milliarden Menschen auf dieser Welt nachhaltig sichern, welche neuen Ansätze gibt es? Anlässlich des Welternährungstages am 16. Oktober 2020 haben wir darüber mit Prof. Dr. Andreas Gransee, Agrarexperte bei K+S, gesprochen, der sich seit vielen Jahren wissenschaftlich und praktisch mit dem Thema Welternährung beschäftigt.
Herr Prof. Dr. Gransee, vor Ausbruch der Corona-Pandemie wurde geschätzt, dass jeder neunte Mensch auf der Erde hungert, das sind über 800 Mio. Menschen. Nun trifft COVID-19 insbesondere viele Entwicklungsländer sehr hart. Was heißt das für die Bekämpfung des Hungers weltweit?
Die Corona-Pandemie macht es auf jeden Fall schwerer, das Ziel der Vereinten Nationen zur Beseitigung des Hungers auf dieser Welt, auch tatsächlich zu erreichen. Denn gerade in vielen Entwicklungsländern sind die Voraussetzungen mit der Pandemie umzugehen deutlich ungünstiger als in entwickelten Ländern. Die Herausforderungen, um den Hunger zu bekämpfen, werden durch COVID-19 damit deutlich schwieriger.
Prof. Dr. Gransee zum Thema Welternährung
Sie sprechen das Ziel an, dass die Vereinten Nationen vor einigen Jahren ausgerufen haben, den Hunger komplett zu bekämpfen, auf Null zu bringen. Das ist aus jetziger Sicht sicherlich ein sehr schwieriges Unterfangen, oder?
Das war es auch vor der Corona-Pandemie schon. Es ist natürlich auch ein sehr komplexes Thema und dadurch, dass viele logistische und auch kommunikative Kanäle von der Pandemie betroffen sind, wird das nun nochmal erschwert. Landwirtschaftliche Produktion ist eine globale Herausforderung und somit sind gerade Entwicklungsländer, die sowieso schon Schwierigkeiten hatten in der Hungerbekämpfung, besonders betroffen.
Neben COVID-19 gibt es noch andere wichtige Einflussfaktoren auf die Ernährungssicherung: Klimawandel, Naturkatastrophen, Kriege und Konflikte. Auch diese nehmen eher zu als ab. Dürfte daher – realistisch betrachtet – die Zahl der Hungerenden nicht eher steigen als fallen?
Zumindest werden weitere Anstrengungen nötig sein, damit dies nicht passiert. Besonders beim Klimawandel ist es offensichtlich. Wir haben dies auch wieder in diesem Jahr hier in Deutschland gesehen: Dürre und Wassermangel sind mittlerweile ein gravierendes Problem. Das war vor 20 Jahren zumindest in diesem Ausmaß noch nicht der Fall. Global gesehen ist es in noch viel größerem Ausmaße sichtbar. Deshalb müssen wir neue Wege gehen, um eben auch der Herausforderung des Klimawandels zu begegnen.
Hinzu kommt noch, dass die Weltbevölkerung weiter ansteigt. Die Vereinten Nationen erwarten bis 2050 einen Anstieg von aktuell etwas mehr als 8 auf rund 10 Milliarden Menschen. Das alleine stellt uns ja schon vor große Herausforderungen, richtig?
Genau. Diese Frage beschäftigt uns schon einige Zeit: Wie wird es uns gelingen, im Jahre 2050 eben diese Menschen, die zusätzlich noch auf dem Planeten sein werden, zu ernähren. Man muss das Thema trennen zwischen dem technologisch Möglichen und den zusätzlichen Faktoren, die die Ernährungssicherung erschweren. Ich bin davon überzeugt, dass es technologisch möglich sein wird, heute und auch in Zukunft die Menschheit zu ernähren. Damit meine ich, dass es möglich sein wird, ausreichende Mengen an pflanzlichen und tierischen Produkten zu erzeugen. Das heißt, wenn wir das Ertragspotenzial in vernünftiger Weise ausnützen können, wird es gelingen, die Menschen satt zu bekommen. Es ist also kein technologisches Problem, sondern eher ein Umsetzungsproblem in den einzelnen Regionen. Jede Region muss eine Lösung finden und umsetzen und das macht es so schwierig. Zusätzlich erschwert nun auch noch COVID-19 diese Bemühungen.
Sie sagen, das Ertragspotenzial muss ausgenutzt werden. Das wird sicherlich nicht in allen Regionen möglich sein. Was muss die Landwirtschaft zur Ernährungssicherung leisten?
Wenn wir über die bäuerliche Bevölkerung in Entwicklungsländern sprechen, dann müssen wir uns über die Strukturen unterhalten. Die sind deutlich anders als in entwickelten Ländern. Die überwiegende Anzahl dieser landwirtschaftlichen Produzenten sind Kleinbauern. Diese Kleinbauern haben ganz unterschiedliche ökonomische Voraussetzungen, verglichen mit einem Großbetrieb in Brasilien oder USA. Das heißt, diese Menschen müssen befähigt werden, ihre Produktion bzw. ihre Leistung zu erbringen. Zum einen müssen sie Betriebsmittel zur Verfügung haben. Bei der Agrarproduktion sind das vor allem Saatgut, Düngemittel und Pflanzenschutzmittel. Zweitens müssen sie auch die finanziellen Mittel haben, um dies zu leisten. Sie müssen aus der Subsistenzwirtschaft heraus kommen und „farming as a business“ betrachten, also ein Geschäftsmodell betreiben, das für den Markt produziert und nicht nur für ihr unmittelbares Umfeld. Denn ohne Überschussproduktion wird man dieses Ziel nicht erreichen. Und drittens muss Wissenstransfer stattfinden, das wird oft unterschätzt. Kleinbauern in Entwicklungsländer müssen landwirtschaftliches Wissen erhalten und für ihre Verhältnisse anwenden. Das sind aus meiner Sicht die drei wichtigsten Voraussetzungen, um die steigende Weltbevölkerung nachhaltig ernähren zu können.
Blicken wir in die entwickelte Welt, in die westlichen Länder. Dort steht die konventionelle Landwirtschaft häufig in der Kritik, insbesondere wegen Umweltthemen. Wie schaffen wir es hierzulande, die Ernährung nachhaltig zu sichern?
In den entwickelten Ländern muss ein Umdenken einsetzen, was die landwirtschaftliche Produktion angeht. Man muss weiter in Forschung und Entwicklung investieren. Es gibt noch viele offene Fragen, auf die wir keine Antwort haben. Darauf muss fokussiert werden. Und wir brauchen nachhaltige Lösungen. Man muss die Aspekte Klimawandel und Umwelt unbedingt mitdenken. Ich würde das nicht als Hemmnis ansehen, sondern als Chance. Wir haben in den entwickelten Ländern einerseits die Verantwortung, Agrarproduktion unter Berücksichtigung der Umwelt- und Klimaziele nachhaltig zu organisieren. Darüber hinaus müssen wir Lösungen entwickeln, die anderen Regionen der Welt helfen. Ich finde, das ist unsere Pflicht.
Welche Rolle spielen Düngemittelproduzenten? Welchen Beitrag können sie zur Sicherung der Welternährung leisten?
Grundsätzlich bleibt es richtig und wichtig, dass die Agrarproduktion auf Feldern unter freiem Himmel für Pflanzen und Tiere sorgt, die der menschlichen Ernährung dienen. Das wird auch in den nächsten Jahrzehnten so bleiben. Pflanzen und Tiere brauchen Mineralien und Nährstoffe, das ist unstrittig. Daher werden Hersteller solcher Produkte natürlich wichtig bleiben. Aber es ist die Frage, wie man hierbei vorgeht. Da gibt es durchaus noch Entwicklungsmöglichkeiten, die in folgende zwei Richtungen gehen: Einerseits müssen Produkte entwickelt werden, die passgenauer sind, als das in der Vergangenheit der Fall war. Da gibt es beispielsweise Ansätze wie Fertigation. Hier sind wir bei der Forschung und Entwicklung noch lange nicht am Ende. Und zweitens müssen wir uns fragen, was denn exakt der Bedarf der Pflanzen ist und wie man diesen messen kann. Da werden neue Technologien wie Sensorik, Satelliten, Algorithmen eine deutlich größere Rolle spielen. Also: Düngemittel werden wichtig bleiben oder vielleicht sogar noch wichtiger werden. Aber wir müssen sowohl auf der Produktseite als auch auf der Applikationsseite besser werden, um die Ressourceneffizienz der Produkte zu erhöhen.
Dann runden wir unser Gespräch ab, was kann jeder Einzelne von uns tun, um einen Beitrag für die Sicherung der Welternährung zu leisten?
Hier ist insbesondere in Deutschland an erster Stelle die Verschwendung von Lebensmitteln zu nennen. Das gilt sowohl für die privaten Verbraucher als auch für den Lebensmittelhandel, also beispielsweise Supermärkte, in denen viele Lebensmittel vernichtet werden. Ich weiß, dass das schwierig ist und dass es natürlich auch die Veränderung des Konsumverhalten jedes Einzelnen erfordert. Aber dies liegt wenigstens in unserer eigenen Hand. Wir können es direkt beeinflussen. Auch müssen wir uns die Frage stellen, wieviel uns Lebensmittel wert sind. Das ist in unseren Breiten etwas aus dem Fokus geraten. Ich finde, Lebensmittel sind oft mehr Wert, als sie in einigen Supermärkten kosten. Das muss wieder ins rechte Verhältnis gerückt werden.
Herr Prof. Gransee, vielen Dank für das Gespräch!
K+S-Agrarexperte Prof. Dr. Andreas Gransee
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